Ein Herz für Querdenker: Kreativität in Unternehmen fördern

Kreativität in Unternehmen fördern

Die Bedeutung von Kreativität wird von Unternehmern und Führungskräften unterschätzt. Wer zukunftsfähig sein will, braucht kreative Menschen – und muss umdenken, um sie zu motivieren und zu begeistern.

Das Thema Kreativität wird im unternehmerischen Kontext meist sehr reduziert betrachtet. Frei nach dem Motto: Klar brauchen wir Ideen, also brauchen wir auch Kreativität – was kann man denn da machen? Und dann sucht man nach passenden Methoden, Techniken und Tipps, die konkret weiterhelfen.

Doch diese Reduktion unterschätzt die große Bedeutung und Tragweite von Kreativität für Unternehmen, für die Entwicklung der Wirtschaft im Ganzen.

Mit den drei folgenden Thesen und drei anschließenden Handlungsempfehlungen und Ansätzen möchte ich dies unterstreichen und Lösungswege für Unternehmer und Führungskräfte aufzeigen, die Kreativität fördern möchten.

These 1: Ein Unternehmen kann seine Mitarbeiter nicht kreativer machen.

DU kannst deine Mitarbeiter nicht kreativer machen!

Vielleicht eine enttäuschende Aussage zum Start. Aber ich bin mir sicher: So wie wir alle in einer Beziehung lernen müssen, dass wir unseren Partner nicht ändern können, sondern ihn so akzeptieren müssen, wie er ist, mit allen Ecken und Kanten – so müssen wir auch lernen, unsere Kollegen und Mitarbeiter zu akzeptieren.

Menschen lassen sich nicht ändern – schon gar nicht von außen!

Kreativität ist keine direkte Variable, auf die du als Unternehmer oder Führungskraft Einfluss nehmen könntest. Das kann jeder bestätigen, der schon mal in einem Meeting saß, in dem der Chef aufgestanden ist, den Stift gezückt, sich ans Flipchart gestellt und gesagt hat: „So, hopp Leute, wir brauchen ein paar neue Ideen, jetzt seid mal kreativ!“

So geht es nicht.

Kreativität ist eine indirekte Variable – alles, was du machen kannst, ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, die erfahrungsgemäß das Auftreten von Kreativität begünstigen. Nicht mehr und nicht weniger.

Aber so wenig ist das auch gar nicht. Es ist nur nicht so einfach, wie es heute gern suggeriert wird. Wir leben ja in einer Zeit des maximalen medialen Inputs und da werden Botschaften und Inhalte zunehmend verkürzt.

Was früher einen Leitartikel wert war, wird heute in 140 Zeichen bei Twitter aufbereitet. Und das spiegelt sich auch in der Darstellung von Fachthemen wider.

Wenn du „Kreativität in Unternehmen fördern“ einfach mal bei Google eingibst, dann findest du ganz sicher hochwertige Inhalte. Allerdings musst du sie mühsam aufstöbern zwischen vielen oberflächlichen und marktschreierischen Beiträgen, die Klarheit und Einfachheit mit fetten Headlines suggerieren:

„10 ultimative Hacks für mehr Kreativität“, „Mit diesen simplen Tipps wird Ihr Team zur Ideenschmiede“, und was nie fehlen darf: „5 Dinge, mit denen kreative Genies in den Tag starten“ oder auch „5 Dinge, die kreative Genies tun, bevor sie ins Bett gehen“.

Leider ist es aber selten so einfach, wie solche Artikel suggerieren. Denn für komplexe Problemsysteme benötigt man immer auch komplexe Lösungssysteme. Es gibt keine einfache Lösung für komplexe Probleme. Schön wär’s.

Wir müssen uns also auf die Komplexität eines kreativen Lösungssystems einlassen. Dafür sollten wir klären, weshalb Kreativität überhaupt so wichtig ist und warum es sich lohnt, sich eingehend damit auseinanderzusetzen.

Noch davor möchte ich kurz definieren, was Kreativität überhaupt ist:

Der Begriff geht auf das lateinische CREARE zurück, was in etwa bedeutet „etwas neu schöpfen, erzeugen, erfinden“. Der Mensch ist also immer kreativ, wenn er etwas Neues schafft – durch seine Fähigkeit zur Assoziation, Impulse aus der Umwelt zu verarbeiten und neu zu kombinieren, zu verknüpfen. Kreativität ermöglicht den Übergang von gewohnten Mustern zu neuen Mustern.

Im Unternehmen ist oft die Rede von „den Kreativen“, damit sind dann zum Beispiel die Kollegen im Marketing gemeint. Doch es gibt natürlich Kreativität quer durch die Abteilungen. Kreativität ist immer dann effektiv eingesetzt, wenn etwas Neues nicht nur gedacht wird, sondern auch kompetent weiterverfolgt und erfolgreich umgesetzt wird.

Ein Beispiel dafür ist in meinen Augen die Produktentwicklung. Deshalb ist der zweite Begriff, der in diesem Zusammenhang wichtig ist Innovation. Kreativität führt zu neuen Produkten, Services, Geschäftsmodellen und so weiter – und wenn diese erfolgreich am Markt etabliert werden, spricht man von Innovation.

Kommen wir zur zweiten These und der Frage, warum Kreativität nun so wichtig ist.

These 2: Kreativität ist DIE Schlüsselressource der Zukunft

Das haben zum Beispiel 1500 Führungskräfte in einer weltweiten Studie von IBM gesagt. Da landete Kreativität auf Platz 1 der wichtigsten Führungsqualitäten der Zukunft.

Aber warum ist das so?

Wir leben in einer Übergangszeit vom Industriekapitalismus zur Wissensgesellschaft. Der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung steigt bei uns schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Durch technologischen Fortschritt und Automation werden immer weniger Menschen in diesen Bereichen beschäftigt. Wir nennen uns nach wie vor gerne „führende Industrienation“, aber nur rund 20 Prozent der Erwerbstätigen sind heute tatsächlich noch in Industrie und Handwerk tätig.

Digitale Technologien, Dienstleistungssektor, Kreativ- und Kulturwirtschaft – das sind die aufstrebenden Bereiche.

Die Herausforderungen im globalen Wettbewerb, im Kontext der Digitalisierung, werden immer komplexer. Um hier zu bestehen, braucht man Kreativität – denn nur innovative Lösungen, nur kundenorientiertes Marketing und vor allem nur schnelles, agiles Agieren bringen ein Unternehmen heute nach vorn.

Schauen wir uns dafür ein Beispiel an: die Taxi-Branche.

taxiJahre- und jahrzehntelang eine sehr stabile Branche: das gleiche Prinzip, die gleichen Autos, das gleiche Geschäftsmodell. Doch dann kam die Digitalisierung, dann kam das Smartphone, dann kam das mobile Internet. Und mit diesen Entwicklungen entstanden diverse Taxi-Apps. Die bekannteste ist UBER. 2009 als Limousinen-Service in den USA gegründet, vermittelt die App mittlerweile Fahrtenbuchungen in zweistelliger Milliardenhöhe in 45 Ländern der Welt. Der Wert des Unternehmens liegt bei über 50 Milliarden Dollar.

Die App vermittelt durch einen hocheffizienten Algorithmus Fahrgäste an Mietwagen mit Fahrer, klassische Taxis oder auch private Fahrer, die bereit sind, gegen Gebühr jemanden mitzunehmen. Letzteres ist in Deutschland durch Gerichte verboten worden aufgrund der fehlenden Genehmigung zum Personentransport.

Was fällt nun bei diesem und auch bei vielen anderen aktuellen Beispielen auf?

  1. Es kommen viel zu wenige der wirklich großen veränderungsbringenden Ideen aus Deutschland.
  2. Die wenigsten dieser neuen Ideen und Geschäftsmodelle entstehen in etablierten Unternehmen. Sie werden von kleinen und jungen Teams entwickelt, von Startups. Die Etablierten versuchen eher, ihre bewährten Geschäftsmodelle zu schützen und aufrecht zu erhalten – das Neue beäugen sie wie einen Feind. Bis sie entweder in letzter Minute doch noch reagieren und sich einem Trend beugen – oder aber vom neuen Wettbewerb abgehängt werden.

Das führt zu meiner dritten These:

These 3: Unsere Gesellschaft und Unternehmen sind geradezu kreativitätsfeindlich.

Ich bin mir sicher, dass sich in der Wissensgesellschaft Kreativität und kreative Menschen nach und nach ins Zentrum der Gesellschaft vorarbeiten werden. Einfach, weil die Gesellschaft sie braucht. Aber es ist noch ein weiter Weg dorthin.

Denn wenn wir zurückschauen, waren Kreative doch stets Außenseiter. Denken wir an das Bild des verrückten Erfinders, des verschrobenen Tüftlers, der in seiner Werkstatt ohne Unterlass an seltsamen Erfindungen bastelt.

ErfinderDenken wir an das Bild des zerzausten Wissenschaftlers, der in seinem Elfenbeinturm an Formeln und Theorien arbeitet. Kreative gelten gern als Theoretiker, als weltfremd, als Idealisten. Genie und Wahnsinn liegen nah beieinander, heißt es.

Das sind tiefsitzende Stereotypen und Vorurteile. Das ist die Angst der breiten Masse vor einer „geistigen Elite“. Und das ist die Angst der Machthabenden vor Veränderung, vor Selbstbestimmtheit und vor Rebellion.

Kreative sind Störer und müssen deshalb unter Kontrolle gehalten werden.

Weitere Beispiele für die Kreativitätsfeindlichkeit unserer Gesellschaft:

Ein Bildungssystem aus dem Industriezeitalter

Denken wir an unser Bildungssystem: Unsere Schulen und Hochschulen wurden konzipiert, als es darum ging, die Industrie, also Fabriken mit passendem Nachwuchs zu versorgen. Die klassischen Industriejobs gibt es heute zwar kaum noch bei uns – aber unsere Schüler und Studenten lernen trotzdem noch genau wie damals.

Immer noch Frontalunterricht, immer noch fleißiges Auswendiglernen von Fakten und Daten. Immer noch keinerlei individuelles Lernen – jeder lernt das Gleiche, egal welche Talente er hat.

Bildung heißt bei uns organisierte Gleichmacherei.

Und was wird dabei sicher nicht gefördert? Kreativität. Die gehört in unseren Schulen in den Kunstunterricht, da dürfen die Kinder sich ein bisschen austoben – und dann aber bitte zurück zu Zahlen, Daten und dem Ernst des Lebens!

Ein Kapitalismus ohne Werte

Kapitalismus ohne WerteSeit jeher sind Unternehmen auf die Ideen und Innovationen angewiesen, die von den Erfindern, den Kreativen, den Talenten entwickelt wurden. Und dennoch haben diese auch in Unternehmen ein Außenseiter-Image.

Ich halte es für eines der größten Probleme unserer Wirtschaft auf dem Weg in die Wissensgesellschaft, dass an den entscheidenden Stellen in vielen Unternehmen Technokraten sitzen. Menschen, die planen, analysieren und budgetieren können – aber nicht gestalten, nichts kreieren, keinen Nutzen stiften.

Was zählt sind Effizienz und kurzfristiger Gewinn im Quartalsrhythmus. Aber mit diesem Fokus führt man doch kein erfolgreiches Unternehmen. Mit diesem Fokus schafft man Wirtschafts- und Finanzkrisen, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben.

Nur langsam erobern sich Kreativität und der Fokus auf die Innovationsfähigkeit ihren Platz in solchen Unternehmen – einfach, weil es anders gar nicht mehr weitergeht. Die Wettbewerbsfähigkeit steht auf dem Spiel. Und zwar nicht nur die einzelner Firmen, sondern der deutschen Wirtschaft allgemein.

Vor allem, weil wir mit der Entwicklung Richtung Wissens- und Kreativwirtschaft vergleichsweise spät dran sind, gerade wenn man den Vergleich zu den USA zieht: In klassischen Industriebranchen sind wir ganz vorne mit dabei und nicht umsonst „Exportweltmeister“. Aber in der neuen kreativen und digitalen Welt sieht es noch eher mau aus – die Googles und Facebooks dieser Welt kommen eben nicht von hier.

Da ist vieles in Bewegung, aber noch recht langsam. Das zeigt zum Beispiel ein Blick auf die Risikokapitalinvestitionen, die in Deutschland in junge und moderne Startups fließen: Waren es 2013 noch 650 Millionen Euro, wurden daraus 2015 schon 3 Milliarden Euro. Immerhin! Allerdings sind es in den USA stolze 60 Milliarden Euro . . .

Unglücklich im Job

Und dann kommt noch dazu, dass bild_jobimmer mehr Menschen unglücklich sind im Job. Ein Leben für den Feierabend und fürs Wochenende. Nur 15 % der Beschäftigten in Deutschland fühlen sich laut einer Studie von Gallup emotional mit ihrem Arbeitgeber verbunden und setzen sich deshalb voll für die Ziele des Unternehmens ein. Der Rest macht entweder Dienst nach Vorschrift oder – noch schlimmer – hat innerlich bereits gekündigt.

Dass eine solche Situation nicht gerade Kreativität begünstigt, darüber brauchen wir wohl nicht zu diskutieren. Wer unglücklich ist und Dienst nach Vorschrift macht, wird sicher nicht zwischendurch ein paar Geistesblitze haben und neue Ideen für seinen Arbeitgeber entwickeln.

Als Zwischenfazit können wir festhalten: Kreativität entwickelt sich zur entscheidenden Ressource in einer neuen, digitalen Welt – Gesellschaft und Unternehmen tun sich aber noch sehr schwer im Umgang mit kreativem Potential und Talenten und fördern dieses nicht ausreichend.

Genau da würde ich jetzt gerne ansetzen und drei Ansätze vorstellen, die ich für wesentlich halte, wenn du Kreativität in deinem Unternehmen begünstigen und fördern möchtest.

Ansatz 1: Die richtigen Leute

Am Anfang des Beitrags habe ich geschrieben, dass wir Kreativität nicht direkt beeinflussen, also Mitarbeiter nicht kreativer machen können.

Wichtig ist deshalb, dass wir uns von vorne herein genau ansehen, welche Menschen im Unternehmen arbeiten und wie wir Teams zusammensetzen. Immer wieder hört man den Satz: „Jeder Mensch ist kreativ!“ – und das ist ja auch irgendwie richtig. Jeder Mensch hat ein Gehirn – und das menschliche Gehirn ist aufgrund seiner Netzwerkfunktion, dem Aufnehmen und Rekombinieren von Informationen, zu kreativer Leistung in der Lage.

Das ist doch aber sehr theoretisch. Im Arbeitsalltag stellt es sich anders dar:

Wir haben es in Schule, Ausbildung und Studium nun mal anders gelernt – und deshalb verhalten sich die allermeisten Angestellten vor allem regelkonform. Sie passen sich an, akzeptieren vorgegebene Strukturen und Prozesse und erledigen die Aufgaben, die sie zugeteilt bekommen. Führungskräfte sind vor allem daran interessiert, dass etablierte Prozesse reibungslos funktionieren.

Null-Fehler-Toleranz – und darauf sind wir stolz!

kreativefunktionierennnichtKreative Menschen funktionieren in diesen Systemen nicht gut. Sie hinterfragen immer alles, wollen aus festen Strukturen ausbrechen und arbeiten oft nicht effektiv, wenn sie nicht ihren Freiraum bekommen, sondern konfrontiert mit verschiedenen Umwelteinflüssen sowie Druck und Stress arbeiten müssen.

In Experimenten zeigt sich, woran das liegt: Die meisten Menschen funktionieren als perfekt geschlossene Systeme. Sie können sich auf eine Aufgabe konzentrieren, indem sie jegliche Störeinflüsse ausblenden. Wissenschaftler nennen das „latente Hemmung“, das Abblocken von Reizen von außen. Solche Menschen können ihre Routinen abspulen – Neues und Unbekanntes blocken sie einfach ab.

Bei anderen Menschen jedoch ist diese latente Hemmung nicht so stark ausgeprägt – sie sind offen für jeglichen Einfluss von außen. Sie laufen mit geschärften Sinnen durchs Leben und saugen jeglichen Input auf. Dementsprechend lassen sie sich jedoch auch sehr einfach ablenken und stören während einer Aufgabe.

Der Autor Wolf Lotter nennt die erste Gruppe charmanterweise „Die Gehemmten“ und die zweite Gruppe „Die Gestörten“.

Diese Gestörten sind in der Minderzahl, sie sind die Menschen mit besonders hohem kreativen Potential – aber sie passen eben nicht gut in die Strukturen heutiger Unternehmen. Dort werden sie eben tatsächlich, wortwörtlich als Störung wahrgenommen.

Das Problem ist: Die Leute, mit denen du heute Business as Usual machst, sind möglicherweise nicht die Leute, mit denen du neue Wege im Rahmen von Wissensgesellschaft und Digitalisierung beschreiten kannst. Die „Gehemmten“, die heute die Prozesse perfekt und fehlerfrei beherrschen, sind vielleicht nicht diejenigen, die sich trauen, das aktuelle Geschäftsmodell auf den Kopf zu stellen und neu zu denken. Die Leute, die heute in klassischen Taxiunternehmen arbeiten, sind doch nicht die, die morgen innovative Dienste wie Uber entwickeln.

Wir brauchen also diese Querdenker, diese „Gestörten“. Wir brauchen echte Talente, die in der Lage sind, die Herausforderungen von morgen zu meistern.

Kreatives Talent erkennen: der Dunning-Kruger-Effekt

Und da liegt eine sehr schwierige Frage: Sind Unternehmer und Führungskräfte denn auch in der Lage, diese Talente zu erkennen? Es gibt ein Phänomen, den sogenannten Dunning-Kruger-Effekt: Der besagt, dass inkompetente Menschen dazu neigen, ihr eigenes Können zu überschätzen und gleichzeitig das Können kompetenterer Menschen zu unterschätzen. Leider können inkompetente Menschen deshalb aber nicht wissen, dass sie inkompetent sind.

Vielleicht sind wir als Unternehmer, als Führungskräfte, manchmal auf einem bestimmten Auge blind: Vielleicht fällt uns die Suche nach Talenten, die etwas können, das wir und unser Unternehmen bislang eben nicht können, genau deshalb schwer. Weil wir diese Fähigkeiten nicht erkennen können. Und weil wir sie unterschätzen. Weil wir sie vielleicht sogar als Störung wahrnehmen.

Wir Menschen mögen Ähnlichkeit und Harmonie. Spannung können wir nicht ausstehen. Deshalb umgeben sich Führungskräfte gerne mit Menschen, die so ähnlich sind wie sie selbst – nur am besten ein bisschen weniger kompetent und erfahren, damit sie nicht in Gefahr geraten.

Das Problem: Dadurch entsteht Harmonie und harmonische Systeme sind dumme Systeme. In denen bewegt sich nichts, da herrscht keine Dynamik. Und deshalb kann auch nichts Neues entstehen. Kreativität entsteht aber nur, wo Spannungsverhältnisse herrschen. Wenn keiner stört, bleibt alles beim Alten.

Deshalb brauchen Unternehmen Unterschiedlichkeit, neudeutsch: Diversity. Die sorgt nämlich für Reibung, für Spannung – und nur dadurch wird Veränderung im System möglich. Das tut weh – und das muss auch wehtun. Wie gesagt: Harmonie hilft nicht weiter. Harmonie bedeutet Stillstand.

Viele Unternehmer, gerade in KMU, machen noch einen speziellen Fehler bei der Auswahl der richtigen Leute. Sie gehen davon aus, dass nur sie selbst für die kreativen Themen, für neue Produkte etc. zuständig sind. Kreativität ist allein Chefsache! Oder wird maximal in eine ganz bestimmte Abteilung oder an ganz bestimmte, ausgewählte Mitarbeiter delegiert. Der Rest hat keine Zeit für Spinnereien und Tüfteleien. Da gilt: Dienst nach Vorschrift!

Doch das kann heute nicht mehr funktionieren! Früher meinetwegen – da gab es den typischen Erfinder, der in seinem Labor vor sich hin getüftelt hat, bis ein Geistesblitz zur nächsten Erfindung führte.

Aber wie gesagt: Ein komplexes Problemsystem braucht auch ein komplexes Lösungssystem. Und unsere Umwelt wird eben immer komplexer. Technologischer Fortschritt, Globalisierung und so weiter – neue Lösungen entstehen heute in der Regel nicht mehr im Kopf eines einzelnen, sondern in einem komplexeren Netzwerk.

Und diese Netzwerke müssen Unternehmer und Führungskräfte bauen. Sie brauchen deshalb Kreativität in der Breite, nicht allein in der Spitze!die-kreativen

Die richtige Mischung macht’s

Und bitte nicht falsch verstehen: Keiner muss sich ja jetzt ausschließlich mit diesen „Gestörten“ umgeben! Die richtige Mischung macht’s – wie gesagt: Diversity.

Wir brauchen die Querdenker für neue Impulse, wir brauchen aber auch die Wissensträger, Menschen mit tiefer Fachkenntnis, die Impulse verarbeiten können. Und wir brauchen Kommunikatoren, Menschen, die Ideen und Menschen miteinander vernetzen können.

Und letzteres, das Knüpfen von Netzwerken, das gilt heute längst nicht mehr nur innerhalb eines Unternehmens. Je komplexer die Zusammenhänge werden, desto unwahrscheinlicher, dass alles nötige Wissen zur Lösung eines Problems in einer Firma sitzt.

Da hilft nur eines: Öffnen! Unter dem Stichwort Open Innovation laufen heute zwischen vielen Unternehmen, auch Wettbewerbern, umfangreiche Kooperationen. Gerade im Bereich der Forschung und Entwicklung gibt es zunehmend Zusammenarbeit.

Wenn du Wissen zur Verfügung stellst und für Austausch sorgst, wirst du von außen Input bekommen, es wird Rückkopplungseffekte geben, die wirklich Neues ermöglichen.

Ansatz 2: Motivation

Gehen wir mal davon aus, wir haben ein tolles kreatives Team aufgestellt – erfahrene Menschen aus dem bestehenden System gemischt mit frischen Talenten, Gehemmte und Gestörte, Frauen und Männer, Junge und Alte, Menschen verschiedener Kulturen, Menschen mit unterschiedlichem Wissen und so weiter.

Das ist schon mal eine gute Basis für Kreativität – aber es fehlt noch etwas. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen Jahre in Bezug auf kreative Leistungen bzw. die Arbeit in der modernen Wissensgesellschaft lautet:

Mitarbeiter müssen intrinsisch motiviert sein.

Oder um es andersherum zu sagen: Geld zieht nicht als Motivator für kreative Leistungen.

Das ist ein Phänomen, denn wissenschaftliche Studien sagen genau das schon eine ganze Weile sehr deutlich. Doch in den Unternehmen wird nach wie vor das genaue Gegenteil gelebt. Ich glaube, wir können das alle irgendwie nicht glauben. Geld ist doch ein so wichtiger Faktor in unserem Leben. Wer zwischen Jobs wählen kann, entscheidet doch sicher häufig auch auf Basis des Gehalts. In Mitarbeitergesprächen geht’s doch auch immer wieder um monetäre Anreize – Gehaltserhöhung, Bonus, Firmenwagen.

Das soll alles wirklich keine Wirkung auf die Arbeit der Mitarbeiter haben? Ja, tatsächlich! Keinerlei! Im Gegenteil: Studien suggerieren sogar, dass viele erfolgsabhängige Gehaltsmodelle für schlechtere Ergebnisse sorgen, wenn es um Kopfarbeit bzw. kreative Arbeit geht.

Intrinsische, von sich selbst ausgehende Motivation, ermöglicht kreative Leistung.

Ähnlich wie Kreativität ist aber auch Motivation eine indirekte Variable. Ich kann nicht zu meinem Mitarbeiter sagen: „Sei kreativ. Jetzt!“ Und genauso kann ich nicht sagen „Sei gefälligst motiviert!“

Welche Rahmenbedingungen kann ich aber schaffen, die Motivation erhöhen, um anspruchsvolle Wissensaufgaben und kreative Aufgaben zu lösen?

Hilfreich ist folgender Dreiklang:

Autonomy, Mastering und Purpose

Autonomy, also Autonomie, meint Freiräume und die Möglichkeit, eigenverantwortlich zu arbeiten, Entscheidungen zu treffen und Ideen zu entwickeln.

Es ist ja auch einleuchtend: Kreative Menschen können nicht gut in engen Grenzen und festen Strukturen arbeiten – und es entstehen natürlich auch keine neuartigen Ideen in einem engen, vorgegebenen Rahmen.

Doch der Alltag in den meisten Firmen ist eben sehr starr. Und meine Erfahrung sagt: Je größer das Unternehmen, desto mehr Regularien gibt es – im Konzern wird doch teilweise der freie Wille morgens beim Einstempeln ausgeschaltet. Wer da Kreativität fördern will, steht vor einer Mammut-Aufgabe.

Aber viele Unternehmen haben das zumindest erkannt. Ein prominentes und aktuelles Beispiel ist Daimler, wo nach einer groß angelegten Befragung der Belegschaft ein umfassendes Konzept für zeitliche und räumliche Autonomie entwickelt wurde. Home Office, Meetings im Café, weitgehende zeitliche Freiheiten – das wird sicher noch eine spannende Entwicklung rund um die Frage: Wie wollen wir eigentlich in Zukunft arbeiten?

Das zweite Stichwort im Dreiklang ist Mastering – gemeint ist das Entwickeln tiefgehender Fachkenntnis und Expertise in einem bestimmten Bereich. Das ist etwas, was heute viele Menschen antreibt – wir wollen etwas besonders gut beherrschen, wir wollen in etwas zum Experten werden.

Wer als Arbeitgeber für Talente und Kreative attraktiv sein will, muss Mitarbeitern Möglichkeiten bieten, sich persönlich und fachlich in der Tiefe weiterzuentwickeln.

Und der dritte Baustein ist Purpose – Menschen wünschen sich das Gefühl, etwas Sinnvolles, etwas Sinnstiftendes zu tun, Teil von etwas Wichtigem zu sein.

Das klingt immer recht hochtrabend – klar, nicht jedes Unternehmen verändert mit seinen Produkten tagtäglich die Welt zum Besseren. Darum geht es aber nicht. Es geht um eine klare Vision, eine klare Mission des Unternehmens. Menschen wollen wissen, wofür genau sie ihren Job machen – zumindest, wenn es um moderne Wissensarbeit, also um kreative Arbeit geht.

Ansatz 3: Wertschätzung

Wir haben jetzt also ein kreatives Team mit Talent und Potential, eine klare Mission und damit Denkrichtungen für die Kreativität und motivierte Mitarbeiter, die Freiräume haben, um sich kreativ zu entfalten.

Damit diese sich nun auch trauen, den Freiraum zu nutzen, und damit neuartige und vor allem ungewöhnliche Ideen auch eine echte Chance im Unternehmen bekommen, braucht es eine Kultur der Wertschätzung für Ideen.

jederistkreativ-2Jeder muss wissen, dass Ideen jeder Art erst mal grundsätzlich Unterstützung bekommen und nicht kritisch beäugt werden.

Auch hier gilt meiner Erfahrung nach: Das genaue Gegenteil ist in den meisten Unternehmen an der Tagesordnung. Bei einer neuen, vor allem bei einer ungewöhnlichen Idee, hagelt es meist die berühmten Killerphrasen: „Das haben wir doch schon vor Jahren mal diskutiert! Das funktioniert doch so überhaupt nicht! Das ist sicher viel zu teuer! Ich glaube nicht, dass unsere Kunden damit etwas anfangen können!“ und so weiter und so fort.

Noch schwieriger ist es, wenn Wissen oder Ideen nicht im eigenen Unternehmen entstehen, sondern woanders – das berühmte „Not-Invented-Here“-Syndrom. Unternehmen neigen dazu, Wissen außerhalb der Firma zu ignorieren – so werden viele Forschungs- und Entwicklungsbemühungen lieber doppelt und dreifach gemacht, was hoch ineffizient ist – anstatt sich mit Wettbewerbern und anderen Unternehmen auszutauschen.

Wertschätzung für Ideen heißt übrigens auch, die Fehlertoleranz zu erhöhen – damit meine ich nicht, Qualitätsstandards zu senken. Aber da wo neue Ideen wachsen sollen, muss immer auch Raum fürs Scheitern sein. Wenn Führungskräfte das Scheitern als Makel im Lebenslauf empfinden und Angst davor haben – kein Wunder, dass immer auf Nummer Sicher gespielt wird.

Wertschätzung für Ideen heißt auch, Ideen sichtbar zu machen, öffentlich zu loben, Ideen auszuzeichnen. Es sollte zudem eine klare Zuständigkeit geben: In großen Unternehmen ist neben Vorstand und Geschäftsführung häufig ein Innovationsmanagement und manchmal ein Ideenmanagement installiert, um gezielt neue Ideen zu fördern.

Aber auch in kleinen Unternehmen muss es diese klare Zuständigkeit geben. Und wenn dies der Unternehmer oder der Geschäftsführer persönlich ist, auch okay – so lange sich nicht unter den Mitarbeitern die Ansicht breitmacht: „Der Chef hat weder Zeit noch ein offenes Ohr für meine Ideen. Also behalte ich sie lieber gleich für mich!“

Kreativität macht Unternehmen zukunftsfähig

Zusammenfassend kann man sagen: Kreativität ist eine Schlüsselressource auf dem Weg in die moderne Wissensgesellschaft. Als Treibstoff neuer Ideen ist sie verantwortlich für den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen im Kontext der Digitalisierung und anderer Entwicklungen unserer Zeit.

Kreativität zu fördern ist deshalb keine einfache Aufgabe, die mit einer Weiterbildung hier und einem gelegentlichen Brainstorming dort zu erledigen wäre. Und Kreativität ist auch kein Thema für bestimmte Branchen.

Mancher mag sich denken: ‚Na ja, jetzt mal halblang, bei uns ist das etwas anders. Wir haben ein so sicheres Geschäftsmodell. Oder: Wir haben ein so erfolgreiches Produkt mit konstanten Kundenbeziehungen. Kreativität – schön und gut – für uns ist das nicht so relevant.’

Aber hätte nicht genau das der Besitzer einer Videothek vor ein paar Jahren sagen können? „Wir sind sicher. Erst war VHS, dann DVD, jetzt BlueRay – ganz egal, wir passen uns an, Filme werden doch immer geguckt!“ Tja, und dann kamen das Breitbandinternet und die Streamingdienste und damit der Anfang vom Ende der Videotheken.

Hätte nicht der Besitzer einer Hotelkette noch vor kurzer Zeit sagen können: „Wir sind sicher. Urlaub machen die Menschen doch immer!“ Und jetzt machen sich Couchsurfing, Airbnb und Andere auf und stellen das Reiseverhalten der jungen Generation nachhaltig auf den Kopf!

Und vielleicht sitzen die deutschen Automobilriesen gerade noch auf ihrem dicken Hintern und sagen: „Ach was, wir sind sicher. Ein Auto braucht doch jeder!“ Und was glaubst du, wie viele Jahre es noch dauern wird, bis Google, Tesla und andere kreativere und innovativere Unternehmen die Märkte mit autonom fahrenden Elektrofahrzeugen fluten?

Wer unter diesen neuen Rahmenbedingungen Erfolg haben will, braucht Kreativität – braucht die richtigen Leute, muss sie motivieren und ein wertschätzendes Umfeld für Ideen schaffen. Dann, da bin ich mir sicher, kommen die guten Ideen ganz von allein!

 

Zum Weiterlesen

Die folgenden Quellen haben mich maßgeblich zu diesem Beitrag inspiriert:

Interview mit Prof. Peter Kruse über Kreativität: Wesentliche Thesen und Punkte meines Beitrags stammen aus diesem kurzen Video – beeindruckend wie pointiert Prof. Kruse über Kreativität spricht!

Wolf Lotter – Die Gestörten: Ein Beitrag über die Suche nach der kreativen Klasse – die irgendwie nicht ins Konzept passt

Wolf Lotter – Die Schwierigen: Lesenswerte Analyse zum Umgang der Gesellschaft mit Talent

Dan Pink – The puzzle of motivation: Ein toller TED-Talk über Motivation und das Konzept von Autonomy, Mastering und Purpose

 

Ein Kommentar, sei der nächste!

  1. Danke Alexander, das sind tolle Thesen. Ich bin „von Hause“ aus Ingenieur, komme also aus dem mechanistischen Weltbild.

    Und dann haben sich mir die Themen Kommunikation (insbesondere NLP) und Visualisieren ganz neue Welten eröffnet.

    Kreativität und die Fähigkeit, bestehendes in Frage zu stellen, wird eine Schlüsselressource der Zukunft sein.

    Und da haben wir in Deutschland noch einen langen Weg vor uns. In den Groß-Konzernen herrschen alte Strukturen, da bleiben fast nur noch Startups oder Selbständigkeit übrig, wenn man sich selber verwirklichen will.

    Viele Grüße,
    David

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